Welche Grundlagen hat das reaktionäre Denken in Politik und Gesellschaft? Welche philosophischen Überlegungen gehen welchem reaktionären Handeln voraus?
In seiner Geschichte des reaktionären Denkens geht Karl-Heinz Ott auf diese Fragen ein und versucht sie zu beantworten.
Er stellt diese Art zu denken und zu philosophieren in seinen Grundzügen vor und reflektiert die Stellungnahmen verschiedener geisteswissenschaftlicher Vertreter dieser Denkschule(n).
Offenbar gibt es auch heute noch genügend Philosophen und Staatsdiener, denen Demokratie und liberale Überlegungen nicht gefallen. Der Autor zeigt wiederholt in seinem Buch, wie die größten Nutznießer der liberalen Idee und der liberalen Staatsform der Neuzeit, diese verachten und welche unhaltbaren Alternativen sie anbieten.
Dabei psychologisiert Ott nur sehr wenig, stattdessen geht er den Weg des Diskurses, den er selber für den einzig wahren und richtigen hält - jenseits jeglicher totalitären Doktrin.
Beeindruckend alleine schon seine Diktion und die Genauigkeit seiner Recherche, die für mich als Laien der Philosophie auch entschieden profund erscheint. So, dass ich diese Buch nur mit Lexika lesen konnte, um zahlreiche Begriffe alleine schon wegen ihrer Bedeutung nachzuschlagen.
Wer auf der Suche nach einer nächsten gedanklichen Herausforderung und kein abgebrühter Profi ist, dem sei diese kurze aber intensive Lektüre empfohlen.
Zentral sind in diesem Werk die Philosophien von Carl Schmitt und Leo Strauß, doch man begegnet vielen anderen Feinden der offenen Gesellschaft, u.a. Platon von dem diese Denkschule (siehe Karl Popper) scheinbar ihren Ausgang nimmt.
Nun, aber dass wir ein völlig anderes Verständnis von Politik haben als die Menschen und großartigen Denker vor 2500 Jahren, muss glaube ich nicht eigens erwähnt werden. Anders sieht es dann bei bspw. Leo Strauss aus - es kommt also auf die Zeit an. Ich hoffe nicht, dass er alle per se verurteilt. Scheint vielleicht auch ein kontroverses Buch zu sein, worüber man diskutieren kann.
Luca Rosenboom, eigentlich "verurteilt" Ott niemanden. Er stellt nur das Denken von Philosophen dar, versucht es dem Leser näher zu bringen. Klar distanziert er sich als Kind seiner Zeit auch von Denkern wie Strauss oder Schmitt, macht es aber so neutral wie möglich.
Ich glaube, am ehesten bedient sich Ott eines seichten Humors. Vieles, was sich die oben genannten Denker überlegten, erscheint aus der Distanz der Zeit und eben in unserer temporären Realität eher naiv, zumindest nicht nach allen Seiten hin zu Ende gedacht. Was hat zum Beispiel die Überzeugung man sei eine starke Nation, die die anderen Nationen eindeutig ausbeuten und unterdrücken sollte, anderes zur Folge, als dass die anderen Nationen aufbegehren? - Strauss geht davon aus, dass der "Starke" immer stark bleibt und der vermeintlich "Schwache" für immer schwach. Und das ist eben utopisch. Denn alle schwachen Menschen oder Nationen entwickeln ihre Strategien, wie sie den stärkeren begegnen. In unserer Welt gilt es aber gar nicht so in den Widerstand zu gehen. Doch dass schreibst Du ja indirekt, in dem Du darauf hinweist, dass für alle Zeiten besondere Regeln galten und man in der Vergangenheit berechtigterweise eine andere Weltanschauung hatte, zu der zum Beispiel wie in der attischen Zeit auch ein glorifizieren des Krieges und des Heldentums gehörten. Oder nehmen wir mal das Patriarchat. Heute verpönt, denn wir streben Gleichberechtigung an, in der Antike die einzige Möglichkeit Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen.
Ich glaube, dass wir heute einfach weiter sind, auch im Denken, nicht nur unsere Technologie. So ist es auch gut, dass Leute wie Ott über das reaktionäre Denken der jüngeren Vergangenheit schreiben, um zu zeigen, worin wir es bereits überwunden haben und wie der Hase denn heute zu laufen hat. Und das ist seiner Meinung nach im Humanismus. Diese Meinung kritisiere ich nicht, ich versuche sie zu verstehen und mit meiner eigenen Lebenserfahrung abzugleichen. Wir haben uns ja schon darüber unterhalten, dass man nicht alles tolerieren kann und auch nicht alles am männlichen Ideal ist negativ. Eindeutig.